Nicht allen Käseliebhaber:innen und Milchtrinker:innen ist bewusst: Fleisch und Milch gehören zusammen. Denn eine Kuh gibt nur dann Milch, wenn sie auch jedes Jahr ein Kalb zur Welt bringt. Während die weiblichen Kälber in die Reihen der Milchkühe nachrücken, werden die meisten männlichen Milchvieh-Kälber für kleines Geld auf dem Viehmarkt verkauft – für die Milchbauern aus dem Netzwerk ‚WIR. Bio Power Bodensee‘ eine unbefriedigende Praxis.
„Wir legen hier, auf unseren Demeter-Betrieben am Bodensee, viel Wert auf eine wesensgemäße Tierhaltung. Aber wenn wir die Tiere nach wenigen Wochen verkaufen, haben wir nicht mehr in der Hand, welche Transporte ihnen anschließend zugemutet werden oder in welchen Mastbetrieben im In- oder Ausland sie landen“, sagt Milchbauer Markus Pfister vom Hof Höllwangen bei Überlingen.
Daher hat der Hof Höllwangen schon vor vier Jahren beschlossen, alle Kälber selbst aufzuziehen. Auf Dauer fehlen dafür allerdings Platz und Zeit. Zusammen mit anderen Milcherzeugern aus dem WIR. Netzwerk und dem in Überlingen ansässigen Naturkostgroßhandel BODAN haben die Höllwanger deshalb nach ökologisch konsequenten Alternativen gesucht, die es ermöglichen, dass die Kälber in benachbarten Demeter-Betrieben aufwachsen. So wurde die Idee für eine betriebsübergreifende Kooperation geboren und für die gemeinsame Vermarktung des Fleischs junger Bodensee-Weiderinder.
© WIR. Bio Power Bodensee
In der Bio-Musterregion Bodensee fanden die Initiatoren dabei in Regionalmanagerin Lucile Huguet schnell eine engagierte Mitstreiterin. „Die Aufzucht männlicher Kälber stellt alle Milchviehbetriebe vor die gleichen Herausforderungen“, weiß Lucile Huguet. „Mit diesem Projekt, das alle Wertschöpfungsstufen – vom Stall bis zum Einkaufskorb verbindet, können wir Lösungen für mehr Tierwohl und gesunde regionale Kreisläufe erproben, die auf andere Betriebe und Regionen übertragbar sind“, so die Regionalmanagerin. Daher hat die Bio-Musterregion die Initiatoren von Anfang an unterstützt, u.a. durch viel Koordinationsarbeit, Beratung und die Organisation regelmäßiger Treffen von Beteiligten aus der gesamten Wertschöpfungskette.
Inzwischen arbeiten im Netzwerk ‚WIR. Bio Power Bodensee‘ Milchviehbetriebe, die selbst nicht genügend Wiesen und Zeit für die Kälbermast haben, mit Höfen zusammen, die auf Weidemast spezialisiert sind. Einer davon ist der Haettelihof in Konstanz. „Wir folgen dabei konsequent dem Leitsatz „Feed no Food“, unterstreicht Haettelihof-Bauer Thomas Schumacher, „unsere Weiderinder treten in keinerlei Nahrungsmittelkonkurrenz zum Menschen. Sie fressen vor allem Gras“, so Schumacher. Und ganz nebenbei bieten die Weiden, die sich nicht für den Ackerbau eignen, Lebensraum für Insekten und binden jede Menge CO2.
Ein knappes halbes Jahr bleiben die Kälber bei ihrer Mutterherde auf dem Milchviehbetrieb. Anschließend genießen sie rund zwei Jahre lang das Leben auf den grünen Weiden der Bodenseeregion – in offenen Ställen oder Ställen mit viel Tiefstroh und Platz in den Wintermonaten – bis sie im Alter von rund 30 Monaten ein Schlachtgewicht von gut 300 Kilo auf die Waage bringen. Als Partner für Schlachtung und Verarbeitung wurden Fairfleisch beim Schlachthof Überlingen und die Frischland Manufaktur in Singen gewonnen.
„Das Mehr an Tierwohl ist natürlich nicht zum Nulltarif zu haben“, weiß Sascha Damaschun, Geschäftsführer des Öko-Großhandels BODAN, über den das WIR. Bodensee-Weiderindfleisch in die Bioläden kommt. „Das Säugen der Kälbchen und Einkreuzen von Fleischrassen reduziert die vermarktbare Milchmenge. Die Kälberaufzucht über fünf Monate erhöht Futterverbrauch, Platzbedarf und Arbeitsaufwand im Stall, und auch die Weidemastbetriebe können nicht pro-bono arbeiten“, so Damaschun.
Ein wesentlicher Teil dieses Mehraufwands muss daher durch den Erlös aus der Fleischvermarktung gedeckt werden. 2022 kamen die ersten Steaks, Würstchen und Co über BODAN in die Bioläden. „Das Fleisch der jungen Bodensee-Weiderinder hat seinen Preis. Aber dank gesundem Weideleben, viel frischem Gras und langsamem Wachstum ist die Fleischqualität auch außerordentlich hoch“, sagt der Fleischkenner Dieter Mülhaupt von der Frischland Manufaktur in Singen. Astrid Widmaier vom Naturkostladen Naturell in Lindau kann das bestätigen. „Geschätzt werden die Bodensee-Weiderind-Produkte vor allem von Genießern, die nicht jeden Tag Fleisch kaufen, aber wenn, dann richtig gutes“, so ihre Erfahrung.
Mit dem Kauf der Bodensee-Weiderind-Produkte gehen Bioläden und Verbraucher:innen gemeinsam mit den Bio-Höfen einen wichtigen Schritt hin zu mehr Tierwohl und ökologisch konsequenter Milchviehhaltung in der Bodenseeregion.
Thomas Schuhmacher vom Haettelihof in Konstanz (Weidemastbetrieb) erklärt, welche Mehrwerte das Bodensee-Weiderind-Projekt bringt.
Was WIR. gemeinsam bewirkenMit der Entscheidung für Steaks, Würstchen & Co vom jungen Bodensee-Weiderind
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© WIR. Bio Power Bodensee
Die Fleischprodukte vom jungen Bodensee-Weiderind können Sie auch auf dem Bio-Markt in Konstanz entdecken – neben einem breiten Sortiment weiterer Bio-Produkte aus der Region von Käse über Dinkel-Nudeln bis hin zum Lupinen-Kaffee.
Wann: Sonntag, 08.10.2023, 12:00–18:00 Uhr
Wo: Konstanz, Konzil-Mole, Hafenstraße
Hier geht es zu der Veranstaltung
© Bio Musterregion Bodensee